Dienstag, Juni 13, 2006

Pflanzenfresser an Muskatnuss in der Gerüchteküche

Flurfunk nennt man das, wenn sich Büroleute in den Gängen geheime Sachen erzählen, die wahr sind. Tratsch ist, wenn Nachbarinnen und mitunter Nachbarn von der Liaison der Dorflehrerin mit dem SPD-Ortsvereinsvorsitzenden erzählen und da nur "etwas Wahres dran" ist. Gerüchte sind moderne Märchen, die man sich gerne vor der Nachtruhe zuführt (z.B. die Prinz-Harry-Storys im Goldenen Blatt). Und wie Märchen bergen sie zuweilen Tatsachen in sich, nur die Namen und Orte sind völlig verdreht. Obwohl, vielleicht ist's ja doch korrekt, was sie besagen. Meine zehn Top-Gerüchte:
1. Peter Lustig mag keine Kinder. Mehr
2. Sänger Prince hat einen riesigen Keller, der voll ist mit fertigen Kompositionen. Wenn er wollte, könnte er sich sofort zur Ruhe setzen und trotzdem locker die nächsten zwei Dekaden jedes Jahr ein neues Hitalbum rausbringen.
3. Haare wachsen schneller, wenn man sie einmal komplett abrasiert. Mehr
4. Blümchen alias Jasmin Wagner wurde zum Star, nachdem sie in der Diskothek entdeckt wurde. Mehr
5. Klaus und Klaus haben sich zerstritten. Darum ist der dicke Klaus jetzt mit einem neuen Klaus auf Tournee und der kleine Klaus nur noch mit Torfrock. Mehr
6. Bielefeld gibt's tatsächlich. Mehr
7. Vegetarier tun gut daran, Bier zu trinken. Enthält es doch die Vitamine B9 und B12, und die fehlen dem der tierischen Nahrung Entsagenden. Mehr
8. Ratlose sollen bei der Problemlösungssuche auf Gespräche mit schlichten Gemütern zurückgreifen. Dabei kann das Gegenüber auch schweigsam am Dialog teilhaben. Die Gesprächsmethode bringt ergiebigere Ergebnisse als langwieriges einsames Brüten in der Klause. Mehr
9. Pädagogen nehmen ihr Diplomstudium allein eines Grundes wegen auf. Sobald sie es absolviert haben, wollen sie als Lehrkräfte staatlichen Bildungsdienst am Schüler leisten.
10. Muskatnuss bietet sich außer zur Verwendung in Kartoffelpüree zur Inhalation an. Es ist billig und ein ausgesprochen gesundes Naturprodukt. Mehr; Kleingedrucktes

Donnerstag, Juni 08, 2006

Des Menschen Häm' beim Singen Seh'n

Es ist ein Merkmal unseres Daseins. Wir Menschen lieben es, Zeuge zu sein, wenn Artgenossen Schaden geschieht. Deshalb wurden Karaoke-Shows erfunden. Bislang integre Sachbearbeiter werden abendlich von ihren Bürokollegen auf die Bühne gesteuert und da krächzen sie: Nickelbacks "How You Remind Me", Totos "Hold The Line". Neuimmatrikulierte Mädchen plärren "Like A Virgin", hauchen "Time After Time". Der Freundes- oder Mitarbeiterkreis klatscht, feixt und lacht sie aus. Das war aber nie ein Problem: Jeder kommt mal vor das Mikro.
Nun - Professionalisierung und Controlling verbreiteten sich, zogen durch Weltkonzerne, Verwaltungen und mittelständische Betriebe und kamen endlich am Mischpult der Karaoke-Bars an. Das Mikrofon im Griff strahlt ein ehemals auf Kirmesveranstaltungen deutschlandweit große Erfolge feiernder Achterbahnansager Charisma aus. Er, jetzt Moderator, verführt das Kneipenpublikum zum großen Singauftritt. Und weil niemand kommt, singt er selber. Seine Stimme streicht zart entlang der Notenbögen von Simply Reds "If You Don't Know Me By Now", energisch bei Lionel Richies "Dancing on the Ceiling".
Früher mussten die zuerst auf die Bühne, die sanglich mit Troubadix um fliegendes Gemüse hätten konkurrieren können, heute sind es die, die hochgelobt aus der Vorrunde von DSDS rausgeflogen sind und nun in kleiner Runde Ruhm ernten müssen. Häme ist chancenlos. Schadenfreude bleibt Zuhause.
Alsbald macht der singende Lokalentertainer Platz für andere Talentierte. Die kennen er und das Publikum schon von der Woche davor und der davor. Technisch einwandfrei, saubere Gestik, tadellos.
Und traut sich der krächzende Büromann unerwartet vors Plenum, weil er von englischen Liebesschwüren singen will, steht für diesen GAU der Moderator parat. "And I swear by the moon and the stars in the skies, I'll be there" lässt sich vom plötzlich von dem in die Bresche gesprungenen Chefliedervorträger der Refrain vernehmen. Fügsam hält der Büromann die Klappe. Hat er sich doch soeben angemaßt, sich an der ersten Strophe zu versuchen.

Dienstag, Juni 06, 2006

Tränen nach der Blattkritik


"Ich mag keine Bäume. Von denen fliegen immer so Pollen herum, und dann krieg ich Allergie." Mit Generalkritik an unseren hölzernen Freunden habe ich wahrlich nicht gespart, als mir einst ein HNO-Arzt und Allergologe mit Namen Eberhard meine Abneigung gegen die Blattträger, genauer: Birken, und außerdem Gräser und Roggen diagnostizierte. Er verschrieb mir eine langjährige Hypodesensibilisierung - die Spritzenkur, die mir Gewöhnung gegenüber den Allergiestoffen verschaffen sollte.
Gut zehn Jahre später stehe ich unmittelbar davor, mich wieder untersuchen zu lassen, auf meinen Geisteszustand. Seit kurzem bin ich in einem Stadium, in dem ich den Anblick von Bäumen toll finde. Dabei kann ich keine Buche von einer Eibe unterscheiden, keinen Ahorn vom Holunder. Nur eben Birke kann ich, Kastanie und mitunter Eiche.
Bin ich mit dem Rad unterwegs oder mit dem Auto - egal: ich bremse, steige ab oder aus und harre verliebt dessen, was der herrliche Baum, den ich soeben gesichtet habe, wohl tun wird. Naturgemäß tut er gar nichts, allerhöchstens schwingt der Holzlieferant mitleidig seine Wipfel. Da könnte ich Stunden davor stehen. Tue ich aber nicht. Ich kriege meine Allergie, fahre mit verheultem Gesicht nach Hause. Meiner Mutter sage ich immer, die bösen Pollen hätten mir die Augen verquollen. Ist aber gelogen; rührte mich doch die schonungslose Anmut von Mutter Natur an.

Vom Baum

Montag, Juni 05, 2006

Schmähwort-Reklame


Erst mit Befremden, dann immer öfter führte ich als kleiner Bub das althochdeutsche Wörtchen „geil“ im Mund, nachdem ich 1990 „Werner – Beinhart!“ geguckt hatte. Ein Jahr später erlaubte ich mir „cool“. Das kupferte ich von Bart Simpson im ZDF und vermutlich von Johnny Depp bei „21 Jump Street – Tatort Klassenzimmer“ ab. „Motherfucker“ habe ich nie gesagt – das übernahm der Herr König (25) aus Darmstadt und wählte dafür die Sendung „Hitler – eine Bilanz“. Leichtfertig hatte Moderator Guido Knopp ihn und die anderen Zuschauer zum Telefonanruf aufgefordert.

Eloquent und fast unmerklich bringt Herr König seinen Anglizismus in die Runde. Ihm lauscht Literaturkönig Marcel Reich-Ranicki, benachbart von dem Historiker Rainer Zitelmann und der Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich. Was sagt Herr König? „Ja gut, also ich. Meine Frage geht speziell an Frau Mitscherlich. Und ich wollte nur kurz vorher sagen, dass der Herr Ziehmann [sic!] ein Massafacka ist, weil er wirklich keine Ahnung hat von der Substanz, irgendwie also, so wie er rüberkommt, das ähm, also ständig die Frau Mitscherlich da anmacht und meint, von wegen, das wäre ja, sie wüsste nichts überhaupt von der Story irgend etwas...“

In der illustren Diskussionsrunde regt sich kein Protest zu dem doch sehr erfrischenden Titel eines Sohnes bei unziemlichen Handlungen mit dessen Mutter, den Herr König dem Historiker und heutigen Unternehmensberater Zitelmann im öffentlich-rechtlichen TV an den Kopf geschmettert hat.
Nur Moderator Knopp hüstelt artig: „Können Sie Ihre Frage formulieren, bitte.“ Herr König trotzig: „Ja, gut. Ich stell meine Frage. Und zwar, meine Frage ist, ob Hitler überhaupt irgendwie also. Meine Frage ist, ob Hitler das deutsche Volk nicht getäuscht hat, und ob eventuell nicht das deutsche Volk Hitler zurückgetäuscht hat, nämlich mit seiner Selbstaufgabe...“ Herr König hebt an, zu erklären, er habe die NS-Zeit nicht miterlebt und holt seine Erkenntnis zu einer Nicht-Entnazifizierung der Deutschen hervor, er habe Distanz, sei in einer Familie aufgewachsen, die gutbürgerlich...“

Da belehrt ihn der Moderator im knallblauen Sakko über die Unverträglichkeit von Livesendungen und Anrufermonologen. Herr König ist gescheitert. Was wäre passiert, wenn damals schon, in den 90ern, Moderator und Diskutanten verstanden hätten, was Herr König da soeben gesagt hat? Hätte es einen Eklat gegeben? Hätte sich seine Schimpfrede auf Herrn Zitelmann wochenlang in den Boulevardmedien herumgetrieben? Vor allem aber: Wäre „Motherfucker“ dann in diesen Tagen ein ebenso beliebtes Schmähwort wie „Dummkopf“ oder „Blödmann“?


Der Film zum Text