Donnerstag, März 13, 2008

Plötzlich da und dann wieder weg


Er war nach 45 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft und das einzige Buch, das er ins Camp retten konnte, war der "Urfaust". Den hielt er immer bei sich. Mit Mitgefangenen führte er die Geschichte auf.

Viel mehr konnte er mir nicht erzählen. Er war an der Haltestelle Rathaus an mich herangetreten, weil ich seine alte Reclamausgabe in Händen hielt. Zumindest eine, die so aussah, meine ist von 48. Ich will seit langem schon mal den Faust oder eben seinen Vorläufer lesen und hatte das Heft 20 Minuten vorher aus meinem Regal gefingert.

Ergreifende Augenblicke nehmen sich nie viel Zeit. Ich war ungeduldig, weil ich für kurz darauf einen Termin hatte. Fast dicht an dicht liefen wir zur gerade haltenden Stadtbahn. Ich hoffte, er steigt mit ein. Wie er Banderolen von Gemüse- oder Obstkisten im Lager gesammelt habe, erzählte er noch. Darauf schrieb er Gedichte, die andere im Lager behalten hatten.

Nach seiner Rückkehr arbeitete er als Lehrer. Heute kann kaum noch jemand Gedichte auswendig, sagte er. Die Tür begann, sich zu schließen. "Ich wünsche Ihnen alles Gute", sagte er. "Das wünsche ich Ihnen auch." Abfahrt. Ich lese weiter. "Wie alles sich zum Ganzen webt/ Eins in dem andern würkt und lebt".

2 Kommentare:

cfk hat gesagt…

Sehr schöne Geschichte!

Serenity hat gesagt…

JÖK! Wo bist du? Was ist los?