Samstag, November 11, 2006

Oma hätte es besser gewusst ...

Beim Boje-über-Bord-Manöver im Mittellandkanal war ich heute etwas zu schnell. Gewöhnlich soll das Boot neben der Boje beinahe zum Stehen können. Mein Boot schoss aber an der Boje entlang. An Bord holen konnte man sie trotzdem prima. Wäre die Boje ein Mensch, den sie im Manöver ja auch tatsächlich simuliert, dann hätte dieser Mensch seit heute entsetzlich lange Arme. Wieauchimmer. Ich fühle mich nicht bemüßigt, aufgrund solcher Konstruktionsmängel die Abschaffung der Gattung Mensch zugunsten einer als Lebensform noch zu etablierenden Gattung Boje zu fordern. Vielmehr möchte ich in Gedanken eine Reise fortsetzen, die am Wochenende begann.

[Fortsetzung] Die tagelange Reise führte uns in den deutschen Süden. Menschenscharen standen zu beiden Straßenseiten und grüßten uns mit Blumen, Konfetti und Transparenten. „Johnny – Wenn einer die Konfitüre verdient hat, dann Du“, „Jimmy – Ich hab' ein Kind von Dir“. Es waren bewegende Momente, und doch war es der am miesesten organisierte Empfang, der Jimmy und mir je zuteil worden war. Es war keine Liebe in dem, was die Leute taten ... überall nur ernste, steinerne Gesichter. Auf den ersten Blick schienen die Leute uns willkommen zu heißen. Ein Blick in ihre Herzen aber zeigte: Sie waren nicht ganz bei der Sache. Offenbar hatte man sie für ihren verlogenden Auftritt bezahlt.

Jimmy und ich machten, dass wir davonkamen. Jimmys Finger war geschwollen und unbeweglich. Er wollte einen Arzt. Ich aber trieb zur Eile. „Es ist für Ma“, sagte ich. Und Jimmy verstand.

Dienstag, November 07, 2006

Wenn Oma das wüsste ...

[Fortsetzung] Der Jumbojet ist etwas größer als Vaters Traktor und verbraucht mehr Sprit. Trotzdem: Das schlechtere Ökobilanz durch das Kerosin ist Vater egal - er wechselt je nach Lust und Laune zwischen Traktor und Jet hin und her.

Für meinen Bruder, mich und die Einkäufe brachte das einen entscheidenden Nachteil: Der Kofferraum vom Jet ist viel zu klein (etwa so groß wie der von einem Smart). Nur mit Not und Mühe drückten und prügelten wir unsere Supermarkt-Kollektion hinein. Mein kleiner Bruder musste den Getränkeautomaten auf den Schoß nehmen, die Sellerie steckte ich in meine Jackentaschen, die Kugelschreiber schoben wir hinter Vaters Ohr.

Unsere Ankunft daheim war sehr festlich. Mutter setzte das Luftgewehr ab, kurz nachdem wir gelandet waren, und bewarf uns mit bunter Farfalle. Die war noch vom Vortagsmittagsmahl über; unsere Schweine essen die nicht.

Es war ein großes Hallo. Doch während Mutter die Einkäufe ins Haus wuchtete, hielt sie inne. Etwas stimmte nicht. Mutter ist sehr sensibel, wenn etwas nicht stimmt. Sie fühlt sich in ihrem Tagesablauf gestört.
Mutter: "Johnny und Jimmy. Hier stimmt was nicht. Das rieche ich doch zehn Meilen gegen den Wind." (An dem Tag kam der Wind aus Nordost.)
Ich: "Oha. Ich darf annehmen, dass das, was dich beunruhigt, Folgen für unseren heutigen Tagesverlauf haben wird." (Jimmy und ich drehten uns nach Nordosten. Die Luft roch etwas mehlig. Jimmys Augen quollen hervor, er musste stark husten - es war also alles wie immer.)
Mutter: "Ihr habt die Konfitüre vergessen, die mit Sauerkirsch."

Es ist ein großes Versäumnis der Menschheit, dass sie es nicht vermag, eine Balance zwischen der Nachfrage und den tatsächlich im Supermarkt stehenden Sauerkirschkonfitüren herzustellen.

"Ma - wir werden uns darum kümmern. Mache Dir keine Sorgen". Das sagte ich. Und innerlich kochte ich. Die Hitze hatte keinen Deut nachgelassen. Die Sandkrümel in meinen Lederschuhen kitzelten meine Zehen. Ich holte den Eselskarren, ließ mich mit meinen Bruder darauf nieder. Los ging die Reise. Das Schicksal sollte uns zu einem modernen Supermarkt bringen, der von Sauerkirschkonfitüre nur so klebte. Das zumindest hofften wir. Der Finger meines Bruder geriet in eine Radspeiche des Karren und wurde eingequetscht. Ich riss seine Hand von der Achse weg. Wir konnten uns keine Verzögerung erlauben. Mutter wartete. [Fortsetzung folgt]

Was Oma noch wusste ...

Brot hält sich in meiner Manteltasche besser als auf dem Küchentisch meiner WG. Das hat ein versehentlicher Test mit einem Zwiebelbaguette ergeben. Die Studie erstreckte sich über zwei Tage. Der beinahe noch fluffige Brocken Zwiebelbrot, den ich heute in meiner Manteltasche am Flussufer in Minden hervorkramte, ließ Abbeißen ohne Zahnschmerz zu. Der Brocken, den ich, zurück in der WG, zu mir nahm, ließ Zahnschmerz nicht nur zu, sondern forderte ihn durch seine steinharte Konsistenz regelrecht heraus.

Doch darum geht es gar nicht. Am Wochenende habe ich einen Fehler gemacht und bin am Samstagvormittag Einkaufen gegangen.
Meine Mutter sagte zuvor: "Johnny, Deine Familie hungert. Es dürstet uns nach neuer Nahrung. Ich bin nicht willens, die Ware zu beschaffen. Gehst Du?" Ich: "Ma. Es wurde Zeit, dass Du diese Frage stellst. Nein. Ich gehe auf keinen Fall."
Mutter schaute nicht unböse. Ich griff meinen Bruder Jimmy und ging. Das Auto brachte uns in die nächste Stadt. Wir betraten einen handelsüblichen Supermarkt. Die Einkaufliste war sehr lang.
"Hui", sprach mein Bruder. "Die ist sehr lang. Es bahnt sich ein allzu aufwändiger, zeitintensiver Einkauf an."
Ich stimmte ihm zu. Ein Geistesblitz fuhr in mein Hirn. "Wir könnten uns verstecken und erst wieder rauskommen, wenn Mutter den Auftrag, den sie uns gab, vergessen hat."
"Nein. Ma wird es merken, und sie wird uns finden und dann ... kurzer Prozess." Mein Bruder fuhr sich mit der Hand durch das Haar.
Ich: "Okay. Kaufen wir halt den ganzen Laden."
An der Kasse ließen wir den Geschäftsführer kommen. Er hatte langes braunes und gewelltes Haar, war etwa so hoch wie ein gesunder Tomatenstrauch und kam gleich zur Sache: "Worum geht's?"
Mein Bruder: "Wir wollen alle Verkaufsregale dieses Etablissements samt aller darauf abgelegten Produkte kaufen."
"Gerne. Das ist eine kluge Investition." Er blickte starr geradeaus an uns vorbei. "Rechne, rechne - das kostet eine Million Euro. Wie möchten Sie zahlen?"
Ich: "Mit Stillschweigen." Ich nickte meinem Bruder zu. Er fingerte ein verräterisches Foto hervor, das den Geschäftsführer eindeutig mit Menschenaffen zeigte. Das Foto war nicht schmeichelhaft (es zeigte ihn im Profil) und ließ Rückschlüsse auf den Charakter des Geschäftsführers zu.
Das Gesicht des Geschäftsführers lief purpurrot an. "Nehmen Sie's mit", sagte er und machte eine ausholende Handbewegung, die den gesamten Markt umfasste.

Wir wollten unsere Einkäufe gerade im Kofferraum verstauen; doch just in dem Moment, als wir aus dem Geschäft traten, war der Parkplatz verschwunden und die Wüste lag zu unseren Füßen. Vorhin war sie noch viele Kilometer entfernt in südlichen Urlaubsregionen gewesen. Der Sand war sehr fein und die Sonne brannte heiß.
"Wir müssen Vater alarmieren. Er soll uns helfen", sagte ich.
Mein Bruder nickte. Ich drückte die Daddy-Call-Taste auf meiner Universaluhr und sprach Dad gut zu.
"Wird Vater mit dem Traktor kommen?", fragte mein Bruder.
Ich wusste es nicht. Doch ich rechnete fest damit. Die Einkäufe waren sehr unhandlich.
Zwei Minuten darauf vernahmen wir ein Röhren aus der Luft. Vater landete seinen Airbus-Jumbojet. [Fortsetzung folgt]