Sonntag, März 02, 2008

Plastik für Distanz

Kindheit in den 80ern in Deutschland birgt Geheimnisse, die sich erst nach und nach offenbaren. Etliche Geheimnisse waren erst gar keine. Zum Beispiel habe ich mich als Sechsjähriger nicht gefragt, was das sollte, als dem Vater von Bibi Blocksberg während einer Versammlung zugerufen wurde: “Sie sind ja ein Roter!” Ich hab einfach ausgeblendet, dass damit mehr gemeint sein könnte als die Gesichtsröte von Vater Bernhard.

Das rote Ausklappteil an meinem gebrauchten 24er Fahrrad konnte ich auch nie deuten. Ich habe zwar zwischenzeitlich begriffen, dass die kleine rote Plastikklappfahne am Ami-Briefkasten meiner Nachbarn in Jheringsfehn den Zweck hat, anzuzeigen, dass Post angekommen ist. Das Ausklappteil an meinem Rad ging nicht nach oben, sondern zur Seite raus und war ungleich länger als die Fahne, vielleicht so 30 Zentimeter. Der Zauber lag für mich darin, dass die Schwenkvorrichtung ein zusätzliches Accessoire war, das mein Bruder nicht hatte und das mir beim Fahrradkorso vom VfL Jheringsfehn außerdem den Neid aller Kinder verschaffen konnte. Mein Fahrrad besaß zusätzlich einen Tacho, den ich für eine Dauer von einer halben Minute auf 30 km/h bringen konnte. So einen hatte mein Bruder auch nicht.

Wenn ich jetzt morgens in Bielefeld mit dem Rad die Alfred-Bozi-Straße überquere und dann in den Tunnel in der Von-der-Recke-Straße fahre, schaffe ich vielleicht 20 km/h, weil es hügelauf geht, und den Autofahrern hinter mir bleibt nur die Wahl, hinter mir herzuzuckeln oder knapp an mir vorbeizuziehen. Die 1,50 Meter Abstand, die ich in der Fahrschule beigebracht bekommen habe, halten die Überholer oft nicht ein. Ich hab dann zwar keine Angst, aber weil ich fast zwanghaft darauf bedacht bin, mein Recht durchzusetzen, hätte ich gerne einen Apparat, der die Autofahrer an ihre Pflicht zum Abstand erinnert. In dem Moment, als ich zum ersten Mal daran dachte, dass ein derartiger Apparat doch eine segensreiche Erfindung wäre, fiel mir mein grünes Kinderfahrrad wieder ein. Abstandskelle heißt das schicke Accessoire, das den motorisierten Verkehrsteilnehmer hinter einem Kinderrad auf die Schutzgedürftigkeit des minderjährigen Radlers hinweist. Das Rot warnt auch davor, dass das Kind ziemlich unerfahren steuert und deswegen für nachfolgende Fahrzeuge eine Gefährdung darstellt.

Einige Väter meinen den Gefährdungscharakter noch dadurch verstärken zu müssen, dass sie eine verlängerte Abstandskelle basteln, an deren Ende ein Metallstück (z.B. ein Nagel) montiert wird. Das ist nicht nur lackgefährlich, auch fürs Kind ist es eine Herausforderung. Da hat es gerade gelernt, ohne Stützräder auszukommen und soll dann mit einem 1,5-Meter-Stab am Rad durch den Stadtverkehr eiern. Ich selber werde mich weiter den Attacken der Autos stellen müssen. Denn für mich kommt nicht mal die harmlose Abstandskelle in Frage, mein Rennrad hat ja nicht mal einen Gepäckträger, an dem ich das Ding festmachen könnte. Außerdem sind auch schon die harmlosen schwabbeligen Abstandskellen mindestens genau so verboten wie rotierende Spinning-Wheel-Radkappen am VW Golf.

1 Kommentar:

Serenity hat gesagt…

Ich glaube, die Bibi Blocksberg Folge hatte ich auch :) Und mich hat das auch nie gewundert. Muss es ja auch nicht oder? ;-)