Freitag, April 20, 2007

Die lausigsten Zitate der Fernsehgeschichte

[nachgespielt von Fussballernie und einem Stein]

Ernie: "Auch wenn es banal klingt: Wenn Du sie nicht verlieren willst, lass sie gehen." *
Stein schweigt bedeutungsschwanger.


Der echte Sprecher hat diesen wichtigen Satz langweilig und ohne bemerkenswerte Betonung gesagt, so als wolle er ausschließlich die Worte wirken lassen. Er, ein attraktiver Mittzwanziger mit dunklem Haar, spricht zu einem Mann Ende 40. Es geht um eine Frau. Offen bleibt, ob sie Geliebte, Tochter oder Arbeitskollegin des Angesprochenen ist.

Als gesichert kann hingegen gelten, dass der Drehbuchschreiber auf eine klassische und vollständig abgenutzte Formulierung zurückgegriffen hat: "Wenn Du sie nicht verlieren willst, lass sie gehen" - ein Paradox, dass sich schon Sandkastenfreunde im niederen Alter zukrakelen, wenn einer mal wieder Probleme mit dem Nachbarsmädchen hat. Durch den vorangestellten Satz vom Banalen, das gleich folgen werde, rettet sich der Schreiber auf die Metaebene. Er distanziert sich vom Geschehen und sagt: Wir wissen alle, dass das ziemlicher Quatsch ist, was jetzt kommt. Aber das ganze Leben ist Quatsch - also lass uns weitermachen.
Und schmunzelnd hocken wir uns neben ihn und lächeln über die bügelnde Hausfrau, die nur halbtags Hausfrau ist, weil sie vorher noch arbeiten geht, um die Schulbücher bezahlen zu können, und gleich nach der Nachmittagstelenovela das Abendessen bereitet.

Doch weg von der Hausfrau. Wir haben uns mit Wichtigerem zu befassen: einem Zitat, das sich um eine fiktionale Serienheldin dreht, die von einem Kerl genug hat. Von solchen Selbstverwirkichungsanspüchen hat die Hausfrau beileibe keine Ahnung. Zurück zum Zitat.

Gehen lassen kann hier auf mehrere Arten verstanden werden. Geläufig ist das Verständnis vom Loslassen, von: dem Verlust preisgeben. So wie es der Vater im Gleichnis tat, als er den Erbteil an seinen kurz darauf verlorenen Sohn auszahlte und jener seiner Bestimmung folgte, nach dem wilden Partyleben auf Schweine aufzupassen. Der Junge war erstmal weg. Doch er kam zurück und mit ihm seine Einsicht, dass er nicht jede Menge Geld, sondern auch die enge Bindung zu seinem Vater in den Ofen geschossen hat. Er kam zurück und rettete so die Vater-Sohn-Beziehung. Oder war es vielmehr der Vater, der die Beziehung zum Sohn aufs Spiel gesetzt hat und sie so rettete?

Gehen lassen
im engen Sinn meint: jemanden laufen lassen. Jemand gibt dem anderen den Raum, den er braucht, um sich auszutoben und um seine körperlichen Triebe wirken zu lassen. Vielleicht hat der Mann die thematisierte SIE zu sehr an sich gebunden. Sie musste für ihn kochen, mit ihm widerliche Heimatfilme schauen und danach zu ihm unter die Bettdecke kriechen. Im letzten Fall war ihr Raum dann kleiner als 1,40 mal 2 Meter.

Gehen lassen ist noch eindeutiger zu verstehen. Angenommen, die Frau ist passionierte Athletin. Der Mann hatte keine Achtung vor ihrer Liebe zum Sport. Nun sagt aber sein Freund, die Frau wolle wieder zurück zum Triatlon oder mindestens einmal täglich spazieren gehen. Das müsse doch möglich sein. Der Angesprochene schweigt steinhart.

Nicht auszuschließen ist, dass der Sprecher Probleme beim Textlernen hatte und die reflexive Form des Gehen Lassens unterschlagen hat: Wenn Du sie nicht verlieren willst, lass sie sich gehen lassen. Das zöge nach sich, dass er dem anderen zu erklären sucht, dass die Frau alle gesellschaftlichen Konventionen der Körperpflege und des sozialen Umgangs über Bord werfen will, um nach einigen Tagen der Verwahrlosung als ein vollkommen anderer Mensch - zumindest optisch - neben ihrem, sagen wir: Gatten, aufzuwachen, um zu faseln: Danke, dass Du mir die Freiheit gibst, die ich brauche. Nun kann ich für immer bei Dir bleiben. Und während der Angesprochene sich schweigend den Spinat von der Nase wischt, der gerade aus dem Rachen seiner Liebsten auf ihn zugeflogen kam, beginnt er zu verstehen, wie sich banale Paradoxien plötzlich in Luft auflösen, nicht ohne vorher noch den gewohnten Lebenslauf zu zertrümmern.

*Gehört in "Wege zum Glück" im ZDF am Freitag, dem 20. April.

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