Zum Gebrauch von Hunden im Straßenverkehr
"Hier Walt... äh Herr Wartborg. Da haben Sie den Racker. Bei Ihnen findet er zum Glück endlich ein gutes Zuhause." Michael Mehlfuß reichte dem 80-Jährigen die Leine zu dem putzigen West Highland White Terrier. Seit einem halben Jahr kam Walther Wartborg jede Woche ins Tierheim, um einen Hund auszuwählen. Meist nahm er die weniger schnuckeligen, die an einigen Stellen schon beschädigt waren - oder alt. "Schön muss er nicht sein, aber handlich", pflegte der alte Mann immer zu grunzen, wenn Michael fragte, warum er denn den Windhund oder den Bernhardiner nicht wollte. Das Fell des Schoßhündchens, das Walther sich diesmal geben ließ, hatte sich über die Jahre von samt nach struppig abgenutzt. Außerdem fehlte dem Hund ein Bein.
Inzwischen musste Walther fast schon ein eigenes Tierheim in seiner Wohnung haben. "Walther", dachte Michael. Am liebsten wollte er den Rentner duzen. "Wer Tiere mag, mag auch Menschen", hatte er sich beim letzten Versuch gedacht, ihm das Du unterzuschieben. Aber Walther Wartborg blieb reserviert. Schweigend unterschrieb er die Abholpapiere und schleppte sich, den Hund hinter sich herziehend, durch die Tierheimtür.
"So sehen Helden des Alltags aus", dachte sich Michael. "Die machen nicht viel Aufhebens und helfen." Irgendwann rief er bei der Lokalzeitung an, um Walther zu empfehlen. Am Montag darauf knallte Walthers schwere Faust auf den Tisch, an dem Michael gerade mit den ehrenamtlichen Helfern des Tierheims Kaffee trank. "Nicht machen!", sagte Walther, und Michael wusste genau, was er meinte.
Noch ein halber Kilometer, dann war er bei seiner Wohnung. Bei jedem Schritt krachten seine Füße auf das Pflaster, so als wollte er durch den Bürgersteig ins darunterliegende Erdreich treten. Der Terrier war umgefallen und schaute schuldbewusst zu Walther nach oben. Er zog den Terrier auf seinen Arm und sicherte ihn mit dem Ellbogen. Seine Frau Erna war auch immer langsamer gewesen als er. Obwohl er es war, der die Athritis im Knie hatte. Sie lief immer so zwei Meter hinter ihm, die Augen nur auf ihn geheftet, um ihn nicht zu verlieren. Bis auf einmal kam sie immer heile rüber.
Vor einem halben Jahr hatte Walther seine Erna zum Essen in die Uni-Mensa eingeladen. Es war ihr Hochzeitstag, als Walther noch so eben die Grünphase an der Fußgängerampel vor der Uni ausnutzte. Erna hatte wieder nur Augen für ihren Walther, der ihr davonlief. Die Augen des jungen Mannes im Fiat klebten an dem Chihuahua, der vom Nebensitz vor die Bremse im Fußraum gehüpft war. Nicht angeschnallt, der Hund. War auch viel zu klein dafür, dachte Walther.
Er kam mit seinem West Highland White Terrier an der Ampel an. Es war grün für Fußgänger. Walter ging nicht. Er wartete. Nach einer Stunde war der Student da. Er hatte noch Verband um den Kopf. Walther brachte den Hund mit einem Stich in dessen Bauchgegend zum Knurren. Der Student guckte hinüber. Bleiches Gesicht. Er machte gar nicht erst Anstalten, wegzulaufen. Walther holte aus. Der Hund flog von der roten Fußgängerampel zu der gegenüber. Die Wucht hatte den Studenten auf das Pflaster geschlagen. Der Terrier lag reglos auf seinem Gesicht. Walther drückte ihn mit seinem Fuß beiseite. "Ich weiß", brachte der Student durch seine blutenden Lippen hervor und drehte müde seinen Kopf weg.
Nachdem Erna auf der Kühlerhaube aufgekommen war, hatte sie sich einmal in der Luft gedreht. Fast wie eine Ballerina, nur senkrecht. Als der Student mit dem Chihuahua auf dem Arm aus seiner Autotür kam und herausstieß: "Mein Gott, zum Glück ist Ihnen nichts passiert", hob Walther seinen Arm und zeigte auf seine Frau hinter dem Fiat. Mit auf dem Rücken verschränkten Arm lag sie da auf der Kreuzung. Ihr anderer Arm zeigte nach vorne zeigte, als wollte sie nach etwas greifen. Walther riss den Hund aus den Händen des Studenten und holte zum ersten Wurf aus.
2 Kommentare:
Beim zweiten lesen ... -.-
Hammer, Serenity! Da hab ich den Text grad erst publiziert, und Du hast ihn schon zwei Mal gelesen. Erzähle ich gleich mal Walther. Beim nächsten Mal.
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