[Fussballernie spricht mit einer Blume]
Ernie: "Tu es la plus jolie fleur que j'ai vue dans ma vie!" *
Rose bleibt spröde und ohne Erwiderung.
Wenden wir uns zunächst dem Offensichtlichen zu. Ernie aus der Sesamstraße hat einen Ball an seinem linken Fuß kleben, der sich nicht mal mit Gewalt losreißen lässt, weil dieser — wie die genaue Betrachtung zeigt — aus dem gleichen Kunststoff wie jenes Geh-Vehikel gefertigt und mit ihm fest verbunden ist. Ernie und sein Fußballfuß wurden aus derselben Kunststoffpresse geboren.
Nicht minder offensichtlich ist, dass Ernie sich einer Blume zuwendet und sich ihr gegenüber in einer fremden Sprache äußert. Seltsam bekannt ist uns diese langue, haben wir doch den designierten Präsidenten eines deutschen Nachbarstaates in gleicher Zunge durch den Off-Kommentar des Nachrichtensprechers seine Absichten künden hören. Nicht wenige erinnern sich weiterhin an Gomez Adams, wie er außer sich geriet, kleidete seine Frau Morticia ihre Lockrufe in Worte, die für besagten Politiker, wenn auch in anderer Anordnung, alltäglich sind. Wie gerne hätten so viele Ausgeschulte mindestens Bröckchen ihres früheren vocabulaire zurück, um auf Parties oder in Partnerschaft Gänsehaut zu produzieren. Doch es ist die Plastikfigur Ernie, die hier lässig und frei von der Leber Französisch palavert.
Zur Analyse der Versuch einer Übersetzung, der nicht Alleingeltung beansprucht angesichts der Interpretationsbedürftigkeit jedes fremdsprachigen Wortes bei Übertragung in eine Muttersprache, Rose ist eben nicht gleich Rose, weil auch Rosa, Roos, Waridi, ורד und Rós:
Du bist die schönste Blüte, die ich in meinem (ganzen) Leben gesehen habe.
Ernie überhöht sein Gegenüber. Betrachten wir fleur als Metapher, ist die Rose, an die er sich richtet, das generell Schönste, das er jemals sah. Das heißt, Ernie erreicht einen Höhepunkt in seinem Dasein. Nicht Miss Piggy erscheint ihm als schönstes Wesen, nicht sein Quietscheentchen, und auch die Figur, die ihn im Ringelpullover aus dem Spiegel heraus anschaut, haut ihn optisch nicht aus den Socken. Er verehrt eine vertrocknete Rose und ihren tiefroten Kopf. Ihn fasziniert tote Materie. Die Lebenden um ihn herum verlieren ihren Wert, das Morbide regt — wie paradox — vitale Empfindungen in den Synapsen seines Kunststoffhirns. Es ist der mentale Sog, in den auch die Sirenen Draculas zu locken vermögen.
Weg von dem Orangegesichtigen. Wir wollen vom Singulären aufs Ganze schließen. Wiewohl Ernie scheinbar die Rose durch seine Huldigung groß macht, wissen wir um die Kraft der Worte, wir sind gewahr, dass der, der spricht, definiert. Das angesprochene Gegenüber ist "la plus jolie fleur" vor dem Hintergrund der Erfahrungen desjenigen, der spricht. Der Sprecher bestimmt, was schön ist. Er bestimmt, was nicht schön ist. Damit stellt er sich nicht nur über die, die er als weniger schön, sprich: als hässlich, verunglimpft, sondern überragt auch die Schönste. Er selbst mag sich damit zwar das Recht nehmen, am schönsten zu sein — wenn auch, genau genommen, ein Schönster neben der Schönsten als gleichwertig bestehen könnte —, in jedem Fall ist er der Mächtigste inmitten derer, über die er sich erhebt.
Kraft der Worte "plus jolie" macht er die Angesprochene bzw. macht eine Sie einen Angesprochenen nicht nur zum Schönsten, sondern auch zum Hübschesten, Nettesten, Niedlichsten oder je nach bevorzugter Übersetzung zum Schmucksten, das er/ sie je im Leben sah.
Diese Feststellung führt uns zurück zum Phänomen Sprache. Ein Franzose, der einer Französin jenen zentralen Satz entgegenschleudert, erzeugt maximal die Wirkung, die ein Deutscher innerhalb dem seiner Nation eigentümlichen Wortekanon gegenüber einer Deutschen erzielt, wenn er sagt: "Du bist die ultimativste Schnecke, die mir je untergekommen ist." Während der Franzose mit einem ablehnenden Achselzucken rechnen darf, bekommt der Deutsche zur Antwort entweder prompt den Mageninhalt der Angebeteten vor seinen Füßen ausgebreitet und/ oder wird ebenso schleunig von ihr auf ein Zimmer geführt.
In diesem Zusammenhang lässt das Bild der Blüte die Vokabel Deflorieren sich allzu bald aus dem Hinterkopf ins Bewusstsein schleichen. Durch seine Anrufung des Weibes als Pflanze oder mindestens als Teil davon, ernennt der Mann sie zum Objekt, das er zu pflücken und zur Gattin nehmen, will sagen: begatten, er sich erlauben darf. Doch gerade durch das Ausrupfen aus der Umwelt, die sie zu dem in seinen Augen schönsten Wesen gemacht hat, nimmt der Mann ihr die Basis ihrer Schönheit. Er nimmt ihre Lebensgrundlage und bringt sie in Abhängigkeit, denn es ist er, der entscheidet, ob sie in einem Wasserglas schleichend vegetieren soll oder an trockener Luft ihr Leben aushaucht und ihre beauté so gut es geht konserviert, damit er sie fortan greifen und ihrer früheren Schönheit gedenken kann.
Und sie wird wieder schweigen, während die Synapsen in ihrem dehydriertem Zellsystem einander zufunken: "C'est le plus cinglé cochon qui a farfouillé dans ma platebande!" **
* Gelernt am 1. Mai 2007 von einem französischen Besucher in Dänemark, nachdem er feststellte, dass es mir nicht gut zu Gesicht stünde, von seinen Landsleuten ausschließlich Ordinärworte beigebracht zu bekommen.
** "Das ist das bekloppteste Schwein, das je in meinem Beet gewühlt hat!"