Donnerstag, März 29, 2007

Finstere Filterfrage


Seit Monaten kaufe ich beim "Netto"-Markt am Københavnsvej 80-84 ein. Nachdem mich jetzt einer der Mitarbeiter darauf hingewiesen hat, wie ich einen Alternativmarkt finden könne, bin ich heute Mittag hinterm Kundenparkplatz auf einen kleinen Fußweg geradelt, ein bisschen geradeaus, und - zack!, da war er: der "Spar"-Markt von Lars Kruse in Dommervænget 27, Roskilde, gerade mal 200 Meter vom "Netto" entfernt und kein bisschen günstiger.
Im Gegensatz zum Konkurrenten gibt es beim "Spar" aber Teefilter aus ungebleichter Baumwolle.
Simon (nein, nicht Simy) sagt, er würde seinen Filter benutzen, bis er schwarz wird (nein, nicht Si..., ach, was soll's).
Woher kommt die Redewendung "Da kannste warten, biste schwarz wirst"? Klingt gar nicht nett.
Hier wurde ich nicht schlau: Da
Hier auch nicht: kannste
Geschweige denn hier: warten

Mittwoch, März 28, 2007

Licht, obwohl da keiner wohnt


Simy hat mir erklärt, dass der Mond (siehe Miniatur in Abbildung) im Moment trotz Tageslicht zu sehen ist, weil die Erde zwischen dem Trabanten und der Sonne schwebt, allerdings ein bisschen versetzt, so dass das Sonnenlicht von der Erde dergestalt reflektiert wird, dass es auf den Mond fällt, und er den Anschein erweckt, zu leuchten. Die Reihenfolge im Weltall ist dann also Mond-Erde-Sonne oder andersrum (mit Sonne-Mond-und-Sterne hat das nichts zu tun), wobei die Erde ein bisschen aus dieser Geraden herauspickt, so dass daraus ein flaches Dreieck wird.
Dass der Mond ab und an auch mal tagsüber durch die Gegend leuchtet, hat sich nie so richtig im öffentlichen Bewusstsein festgesetzt (mein Anteil an dieser Kollektivwahrnehmung inklusive), so dass das häufigere Mondleuchten bei Nacht extrem populär wurde.
Simy sagt, bei Nacht leuchtet der Mond, weil er dann das Licht der Sonne reflektiert, so dass er mit diesem Nachtlicht prima auf der Erde sichtbar ist. Ich werde Simy beizeiten bitten, mir zu erläutern, inwieweit diese Sicherheitsbeleuchtung den Mond bei seiner Reise durch das All vor fiesen Crashs mit Satelliten, Meteoriten und UFOs schont.

Radio-Report aus Skandinavien (3)

Das Neueste aus Roskilde. Sendedatum bei Hertz 87.9: 28. März 2007.



Was davor geschah...
... und davor

Dienstag, März 27, 2007

Der 24-Stunden-Report (8): 9 Uhr

Warum bin ich nur nach Dänemark gegangen? Weil ich das Land kannte? Meine letzte Urlaubserfahrung endete damit, dass ich mit meinem Fiesta einen kaputten Subaru 60 Kilometer außer Landes ins sichere Deutschland schleppte, wo der ADAC-Engel das gerissene Kupplungsseil in zehn Minuten gegen ein Provisorium austauschte. Wegen der Däninnen? Niemals vor meiner Herkunft habe ich mit einer einheimischen Staatsangehörigen gesprochen, abgesehen vom "Tak!" gegenüber der Kassierin im Shop am Urlaubsdomizil. Wegen der Sprache? Ja. Nein, nicht wegen Dänisch - wegen Englisch. Ausländer, die nach Roskilde, Kopenhagen, Aarhus kommen, um zu studieren, müssen die Landessprache nicht können, Englisch reicht.
Das Resulat dessen: Ich, der in einem Seminar sitzt, das in Dänisch abgehalten wird. Thema ist das narrative Interview, ein Konzept aus deutschen Landen von Fritz Schütze. Im Seminar lohnt sich zur Illustration der Methode durchaus ein Blick auf ein Gesprächsprotokoll - zu dem ich wegen meiner Sprachbarriere allerdings nichts zu erzählen weiß.
Ich habe eine Dolmetscherin, und der Dozent gibt zuweilen englische Zusammenfassungen. Er erwähnt Melanies und mein Forschungsthema "Deutsche Arbeiter in Dänemark" und mit wem sich da ein narratives Interview sinnig sei.
Melanie ist meine Bielefelder Kommilitonin. Wegen ihr und mir hat der Dozent letztes Mal sein Seminar auf Englisch organisiert. Jemand habe darum gebeten, diesmal auf Dänisch vorzugehen, erzählt er zu Beginn dieser Sitzung. Ich sage, das sei okay. Ich bitte meine Sitznachbarin um Übersetzungshilfe und von nun an frage ich alle paar Minuten: "What are they talking about now?", "What has he said?", "What do svar, svagheder and forbindelse mean?" - "Answer", "weaknesses" und "connection" flüstert sie mir nach und nach zu, wodurch ich von der gerade laufenden Diskussion abgelenkt werde. Zu der kann ich zwei Mal etwas beisteuern, einmal wegen der persönlichen Erwähnung durch den Dozenten, einmal weil ich rasch genug eine Übersetzung zu einer vorigen Äußerung bekommen habe.
Ich hab den Eindruck, ich bin nur unzureichend integrationswillig. Wandere in ein Land ein und meine dann, die Leute da müssten so sprechen, dass ich sie verstehe. An der Uni Bielefeld gibt Pädagogik-Professor Hans-Uwe Otto im neuen Semester ein Seminar auf Englisch, alle anderen Veranstaltungen an der Fakultät sind auf Deutsch. Die Bielefelder Fakultät hat mehrere hundert Studenten und will sich mit der Einführung von Bachelor und Master internationalisieren. Am Institut hier in Roskilde hab ich nicht mehr als 40 Pädagogikstudenten gezählt, angehende Bachelors und Masters zusammengenommen, und die haben noch ein Zweitfach neben Pädagogik und Psychologie.
Für seine vier internationalen Studenten aus Spanien und Deutschland hat das Institut for Psykologi og Uddannelsesforskning indiduelle Semesterpläne geschnürt. Ich besuche die Seminare nicht durchgängig, sondern immer spezielle Sitzungen, und die werden dann auf Englisch abgehalten.
Mit einer Ausnahme, die mich taub und fast stumm macht. Ich bin zu sehr damit zugange, nach Worten zu grapschen, die Deutsch klingen - wie soll ich da aufmerksam zuhören?
Mein Dozent ist sichtlich betrübt, dass das Seminar mir Rücksicht auf die Mehrheit dänisch ablaufen musste. Die Studenten wollten über ihre Erfahrungen mit der besagten Methode reden, da wäre Englisch eine ziemliche Schranke gewesen. Wäre ich Präsident einer großen Nation, sagte ich jetzt vielleicht: Ich sehe das als Herausforderung.
Weil durch wenig ausgeprägten Patriotismus mental wenig Nation hinter mir steht, und ich noch nie von einem Präsidenten gehört habe, der einen Sprachkurs besucht hat, um ein internationales Anliegen zu bewältigen, ist meine Haltung anders gelagert. Phantastische Träumereien wie Dänisch lernen in nur fünf Monaten sind ungleich schwerer umzusetzen als einen US-Kongress mit republikanischer Mehrheit zum Einmarsch in den Irak zu überzeugen. Aber ich war noch nie Präsident, ich bin da nicht so firm.
Doch zurück zum Seminar: Außer dem hatte ich in diesen Tagen vier bewegende Spracherfahrungen:
- Beim Volleyballnachmittag in der Turnhalle nahe dem Campus hörte ich einen Eingewanderten Dänisch schwatzen mit einem Einheimischen. Ich hab ihn vorher als Franzosen mit entsprechendem Akzent beim Englischsprechen wahrgenommen. Jetzt bin ich komplett beeindruckt, hab vorher aus irgendwelchen Gründen, das pauschale Urteil mit mir herumgetragen, Franzosen sprächen gewissermaßen naturgemäß nie und nimmer Dänisch.
- Eine polnische Kommilitonin fragte mich und einen anderen Deutschen, ob sie auf unserer gemeinsamen Radtour von einem Partystandort nach Hause zum Campus ihre Ohrhörer einstöpseln solle. Wir erklärten, es bestünde dafür keine Veranlassung, weil wir Englisch sprächen und Deutsch nur für auf Englisch Unaussprechliches einsetzen würden, wie wir es Sekunden zuvor bei einem Gespräch taten, das den Namen eines Volkswagen-Modells beinhaltete. Wir hielten uns an unsere Beteuerung.
- Minuten zuvor hatten der Deutsche und ich der Bitte zweier Italienerinnen stattgegeben, unsere Konversation in unserer Stammsprache fortzusetzen, - sie sprächen schließlich Deutsch. Wir öffneten die Büchse der Pandora: Flugs stand ein weiterer Italiener mit Deutschkenntnissen in unserer Runde, ein Österreicher passierte uns, eine Deutsche sagte Tschüss und wenig später fanden mein Landsmann und ich uns wieder im Gespräch mit einem Neuseeländer - natürlich auf Deutsch.
- Wozu bin ich eigentlich hier?
[Translation] I am sitting in a class and it's completely in Danish. Well, not completely. There is one girl next to me translating what the teacher says. And the teacher gives brief summaries on what he has just said. Main topic of the class on this day is the "narrative interview" developed by Fritz Schütze - right: He is a German researcher and therefore it is quite weird to hear his ideas in Danish.
It is my first class in Danish. At the beginning of the lesson the teacher asked me whether it would be okay to hold the class this time in Danish. I said: "Yeah, that's okay", slighly aware of the differences this appointment could breed.
At last I had contributed two statements to the other students since first, the teacher had mentioned my project topic as an exampel, and second, I had asked my translator fast enough to give me the statement of one girl during a discussion. It's a funny feeling to argue in English when you don't understand the Danish answer.
And still: I have got the impression I am not willing to be integrated into Denmark because I travel hither and I demand from the locals to speak in a way by which I can understand them. I didn't visit a Danish course until I came to Roskilde.
And now let's have a glimpse on my faculty at the University of Bielefeld: There is one single course in English - all the other courses are in German. Hundreds of students study at my faculty, here at my department at the University of Roskilde I have never located more than 40 students.
My teacher is rather sorry about my current situation. Students had asked him beforehand to work in Danish this time since it would be easier for them to present their experiences. And whereas they are arguing I examine the projected slides next to the blackboard - I get a pretty good feeling that I am getting better and better in reading Danish. And when I'm unsure I just ask the friendly girl that sits next to me.

Montag, März 26, 2007

Sonnenwind


Simy hat die These aufgebracht, dass der ständige Wind hier auf Seeland (dänisch Sjælland) für Sonnenschein sorgt. Denn der Wind schubst die Wolken davon und zerstöbert sie, so dass die Sonne ungehindert auf die hiesige Erdoberfläche herabscheinen kann. Wenn es mal nicht sonnig ist - was häufig vorkommt -, liegt das im Umkehrschluss daran, dass nicht ausreichend Wind vorhanden ist.
Ich freue mich auf den nächsten Orkan. Dann wird nichts mehr die wärmenden Strahlen aufhalten können, und ich kann mir ein ausgiebiges Sonnenbad genehmigen.

Freitag, März 23, 2007

Der 24-Stunden-Report (7): 12 Uhr

Es ist kurz nach Mittag, und ich vergesse meinen Mantel im Seminarraum im Institut for Psykologi og Uddannelsesforskning. Ständig vergesse ich Sachen. Oder ich meine, sie vergessen zu haben. So wie meine Zimmerschlüssel, die ich verloren glaubte, als ich meine erste Salsa-Kursstunde hinter mir hatte. Innerlich wurde ich sehr panisch, äußerlich sehr hektisch, und das nur, weil sich das Schlüsselanhängerband um meinen gesuchten Gegenstand gewickelt hatte und der deswegen in der Innentasche meiner Kordjacke nicht mehr klimperte. Aber irgendwie schweißt es immer auch zusammen, wenn einer in Not ist und andere ihm helfen müssen, sprich: Meine Beziehung zu meinen Tanzlehrerpaar hat darunter nicht gelitten.
Den Schlüssel habe ich seitdem ein ums andere Mal wieder verloren zu haben geglaubt, bis ich mir einen Karabinerhaken gekauft habe, den ich zwar nie an meinen Hosenbund klippe, der jedoch vielleicht wegen seiner Unförmigkeit gewährleistet, dass ich meinen Schlüsselbund in Taschen und Rucksäcken ertasten kann, bevor ich mir seinen Verlust einbilde.
Ich bin mittlerweile ziemlich gut im Rekonstruieren kürzlich ausgeführter Handlungen. Wo bin ich hingegangen? Hab ich da mobil telefoniert? Wo hab ich das letzte Mal in bar bezahlt? Mein Handy finde ich jeden zweiten Tag in dem schmalen Fach vorne an meiner Umhängetasche wieder. Meine Portemonnaie habe ich schon zweimal im Fach auf der Rückseite der Tasche entdeckt.
Eine Kardinalfrage beim Rekonstruieren ist: Habe ich meine Zimmertür abgeschlossen? Jedesmal, wenn sich mir diese Frage aufwirft, muss an die Frau aus Stephen Kings "Needful Things" denken, die bei einer Art Repräsentant der Hölle ein Amulett gegen ihre Athritis kauft und damit nicht nur ihr Gebrechen, sondern gleich auch ihre Seele los wird und die spezielle Fähigkeit erwirbt, nicht mehr aus dem Haus gehen zu können. Denn immer, wenn sie das versucht, fragt sie Sachen wie: "Polly, hab ich die Herdplatte angelassen?" (Ist ein Selbstgespräch - sie heißt Polly Chalmers), "Läuft das Wasser noch?" und wo sie gerade an Wasser denkt: "Hat der Goldfisch noch genug davon?" Und dann die Schlüsselfrage, die ich mir auch immer stelle: "Abgeschlossen?! Ich geh mal besser und guck noch mal nach." Wenn ich ein Auto geparkt habe, laufe ich ein-, zwei-, dreimal darum herum, um die Verriegelung zu überprüfen. Hin und wieder vergesse ich das.
Ich habe meinen Schlüssel neulich im Kühlschrank gefunden. Kurz davor war ich wieder panisch, bis mir ins Bewusstsein schoss, dass ich meinem kanadischen Kommilitonen meinen Schlüsselbund gegeben hatte, damit er an mein Notebook konnte. Der Kühlschrank ist unser Geheimübergabefach. Ich bin schon suchend im Schnee herumgestolpert, während der Schlüssel für mich gut geschützt parat lag.
Allerdings: So ganz dramatisch wäre es nicht, wenn ich meinen Schlüssel verlöre. Ich hab neulich gehört, dass es um den Dreh 900 Kronen (120 Euro) sind, die ich an Strafzahlung zu entrichten hätte, um einen neuen Schlüssel zu kriegen. Das ist bei Sicherheitsschlössern, wie sie mein Wohnheim hat, nicht viel. Als in der Uni Bielefeld der Generalschlüssel nach einem Handgemenge nahe der studiengebührenentscheidenen Senatssitzung abhanden kam, waren die Kosten ungleich deftiger. Da war von 800.000 Euro für neue Schlösser die Rede. Ganz anderes Kaliber. Wenngleich die ostwestfälische Uni und mein Wohnheim zumindest optisch vergleichbar sind: gut sichtbare Versorgungsleitungen, nackte Betonwände, kurz: der zweckmäßige Baustil einer Fabrik, der zumindest in Sachen Uni noch an Denkfabrik denken lässt, ein Terminus, den ich für meine Unterkunft hingegen ausschließe: Da ist mein Gehirn nicht mal in der Lage, mir zuverlässig zu melden, wo mein Schlüssel ist.

Mittwoch, März 21, 2007

Liedermacherverwandtschaft

Last.fm hat mir schon manche musikalische Entdeckung beschert. Gerade erst habe ich mir Musik gewünscht, die der von Reinhard Mey gleicht. Last.fm spielte mir daraufhin das Lied einer Band namens "Die Kassierer": Mach die Titten frei, ich will wichsen" - kannte ich allerdings schon.

Radio-Report aus Skandinavien (2)

Frischer fernmündlicher Lagebericht aus Roskilde. Sendedatum bei Hertz 87.9: 21. März 2007.



mehr Berichterstattung

Dienstag, März 20, 2007

Die dänische Wohnraumentscheidung im Generellen

Für das Roskilde Universitetscenter arbeite ich derzeit an einer Studie zur Wohnsituation in Dänemark. Das Projekt ist am Institut for Kultur og Identitet angesiedelt, genauer: am Dänischkurs für Anfänger (jeden Dienstag und Donnerstag von 9.15 bis 12.45 Uhr. Heute haben wir die Uhrzeiten gelernt). Mein Forschungsteam ist international und genderübergreifend mit einer Tschechin, einem Deutschen und einem Tschechen besetzt. Die Studie ist quantitativ ausgerichtet.
Heute, an einem Dienstag, draußen strahlte die Sonne, und die Luft war mild, kam die Erhebung der für diesen auf südskandinavische Habitate fokussierenden Survey obligatorischen Daten zur Durchführung.
Aus ökonomischen Erwägungen überschreitet die Größe des Samples nicht das Maß von zehn Befragten. Die Stichprobe setzt sich aus Mitarbeitern der Hochschule in Roskilde zusammen.
Die Erhebung lief in dänischer Sprache ab. Die Auseinandersetzung mit der zentralen Thematik führte zu folgender Operationalisierung:
1. Hvor bor du henne?
2. Hvordan bor du?
3. Hvor stor er din bolig?
4. Er du gift eller bor du sammen med nogen?
5. Hvor mange personer bor du sammen med?
6. Har du børn? Hvis ja:Hvor mange børn har du?
7. Har du parkeringsmuligheder ved din bolig?
8. Har du have?
9. Syns du det er dyrt eller billigt at bo i Danmark?
[deutsche Übersetzung voraussichtlich im Laufe der nächsten Tage verfügbar]
Zum jetzigen Zeitpunkt steht die Aufbereitung und Auswertung der erhobenen Daten noch bevor. Die Forschungsgruppe rechnet mit erhellenden Erkenntnissen und schließt nicht aus, dass die spätestens in zwei Monaten abgeschlossene Studie essenziell für das Fortbestehen der Europäischen Union sein wird.

Samstag, März 17, 2007

Radio-Report aus Skandinavien (1)

Für Hertz 87.9 - Campusradio für Bielefeld liefern mein Kollege Jan Dillschneider und ich seit diesem Monat Lageberichte aus Norwegen (Jan) und Dänemärk (ich). Jedes Interview ist mit Störgeräuschen ausgestattet - wie es sich für ordentliche Korrespondentengespräche gehört. Zwei Folgen mit mir liefen bereits, außerdem lege ich noch den Serienjingle drauf:





Neue Folgen mit mir gibt es jeden Mittwoch zwischen 9 und 11 Uhr bei "Der Morgen" (Stream Hertz 87.9). Die Telefoninterviews mit Jan sind freitags in der gleichen Sendung zu hören.

Sensitives Waschmittel für reife Clownshaut

Ich war fünf und er war 49, als ich Dieter Hallervorden in seiner Paraderolle als "Die Nervensäge" im ZDF vergötterte. Die Familienserie - Hallervorden teilte sich die Hauptrollen mit seiner Tochter Nathalie sowie seiner damaligen Frau - hat nach Angaben meiner Erinnerung im Vorspann ein grünes Telefon mit Wählscheibe präsentiert, das von der Serienheldin Frau Keller bedient wurde. Die Darstellerin dieser Frau ließ sich irgendwann nach Abschluss der Dreharbeiten von einem "der beliebtesten Entertainer des deutschen Fernsehens" (didipage.de) scheiden. Ich habe sie nie vergessen. Ihr Name ist Rotraud Schindler. Als Frau Keller war sie immer sehr aufgeregt wegen ihres Untermieters Willi. Im Leben außerhalb der Serie hat sie der Willi-Darsteller vermutlich ebenfalls genervt, sonst würde sie ihn heute ja noch lieben.
Wäre ich verantwortlicher Redakteur für die "Stern"-Rubrik "Was macht eigentlich..." hätte ich vor wenigen Tagen bei Procter & Gamble angerufen und gefragt, wie Frau Schindler derzeit ihren Berufsalltag nach der Absetzung von "Streit um drei" verbringt und was ihr Gesicht auf dänischen Ariel-Reklametafeln macht. Ich würde kommentieren, dass es gewiss sehr lustig sei, dass auf ihrem Hut die fremsprachliche Übersetzung für "Mensch ärgere Dich nicht" steht, dass es sich dabei aber um einen zynischen Scherz auf Kosten einer 66-Jährigen handele, die ein Konzern in ein Clownskostüm stecke, um für ein Waschmittel zu werden - das würde ich sagen, kurz bevor ich feststellte, dass es um eine Kampagne für dänische Krankenhausclowns geht, die für jedes verkaufte Paket Ariel Sensitive, das in den Netto-Märkten übers Kassenband läuft, eine Dänische Krone erhalten, was mich einen Augenblick an Patch Adams und die Bielefelder Initiative Dr. Clown denken und seufzend aussprechen lässt: "Schön, dass Frau Schindler ihren Platz im Leben gefunden hat."

Freitag, März 16, 2007

Fünf Stunden allein mit der Stadt

Komparse
Der Vollzähligkeit halber knipste ich das Tivoli, als in dem Moment, in dem mein Zeigefinger den Auslöser presste, ein Passant mit Mütze angeflogen kam und seine Arme in mein Bild streckte (Abbildung ähnlich). Den ganzen Tag über hatte ich die Bewohner der Stadt unter Kontrolle gehabt: Ich brauchte nur den Fotoapparat vor mein Gesicht zu halten, schon erstarrten alle Leute im Umkreis, entweder, um nicht ins Bild zu laufen oder um genau so vor dem Königlichen Theater ihre Haltung zu halten, wie ich es für meine Bildkomposition vorgesehen habe. Dieser Kerl nun war sein eigener Regisseur. Er kümmerte sich nicht um die städtische Konvention, Touristen mit Liebenswürdigkeit einzulullen. Wie kam das? Sein Kumpel half mir auf die Sprünge: "Do you see his cap?" Das tat ich. "Look at the right side." Der Mützenträger drehte mir die Seite zu. Da war ein kleines rosafarbenes Bügelbild drauf, sah fast aus wie eine Delikatesse. "He's got a small brain", erklärte der Kumpel. Der mit der Mütze nickte. "He need the warm cap to keep his brain working."

Liebesszene
Sie flüsterten, hielten inne. Er richtete sich von der Bank auf, sie tat es ihm gleich. Sie legte ihren Rucksack an, und er streifte ihr einen Gurt über die Schulter. Nicht lange, da wandten sie dem säulenumsäumten Altar den Rücken zu und liefen Richtung raus. Und stoppten. Der Mann und die Frau standen genau unter der Kuppel und schauten empor. Sie zeigte hoch auf etwas, als sei da ein Bekannter, und er blickte ihr ins Gesicht und wieder nach oben. Sie lehnte sich an seine Schulter. Da war ein Schimmer unter ihren Augen. Ich, in Reihe 22 der Frederiks Kirke, drei Meter von ihnen, traute mich nicht, ein Foto zu machen - erst später, als sie gegangen waren; da war ich allein.

Gaffen
Die kleine Meerjungfrau ist ein ziemlicher Brocken. "She was created by Hans Christian Andersen - a very famous writer from Denmark. He is world-famous", sagte ein Mann im Anzug zu einem anderen im Anzug. Ich hab sie mir immer so richtig klitze-klitze-klein vorgestellt, doch auf dem Stein saß eine gewöhnliche Statue und guckte aufs Wasser, weg von den Männern, die gierig auf ihre Auslöser drückten, um sie später ganz für sich zu haben oder vor ihren Kumpels mit ihr anzugeben. "Hier, kleine Dänin. Die hab ich am Hafen gefunden. Wat sagste dazu?", werden sie später beim Sushi-Essen sagen. Ich hätte ihr das Pink, das ihr einer während der Schlacht ums Ungdomshustet aufgetragen hat, gerne noch gegönnt. Hat halbwegs ihre Blöße bedeckt. Nun ist sie wieder golden. Ein Mädchen und seine deutschen Freunde kamen angesprungen. "Die ist ja doch ganz hübsch", sprudelte es aus ihm heraus. "Das ist heute unser Highlight". Einen Steinwurf weiter fuhr ein Jüngling nach dem Bade mit einem Handtuch über seine metallene Haut. All das Rubbeln half nichts, er bleibt über und über mit Grünspan bedeckt.

Donnerstag, März 15, 2007

Dänisches Dosenfutter


Heute hab ich Thunfisch aus Ghana gegessen - sehr trocken.

Montag, März 12, 2007

Der 24-Stunden-Report (6): 21 Uhr

Was mich von Else Kling unterscheidet: Ich bin einen halben Meter größer, sie ist tot und ich bin non-fiktional. Ansonsten sind wir vollkommen identisch. Gut, abgesehen davon, dass sie bis zu ihrem Hinscheiden in Folge 1069 Parterre wohnt und ich seit Januar im ersten Stock. Damit hab die entschieden bessere Sicht.
Von meinem Fenster aus kann ich den Blick schweifen lassen über die Allee ohne Grün, aber dafür mit Stelen-Laternen, die stehen, wo sonst die Bäume stünden, von da aus zum stetig qualmenden Schlot der Fabrik, von der keiner weiß, was sie verfeuert, bis zur Baustelle vor meinem Haus.
Else hat ja immer eher eine Innensicht gehabt. Die wartete immer in der Nähe ihrer Wohnungstür, und wenn Mutter Beimer oder der Herr Schildknecht mit Einkäufen beladen heimkehrten, schnellte sie hervor, um in Erfahrung zu bringen oder zu verbreiten, was mit Beate Flöter geschah.
Das hab' ich auch versucht. Am Eingang verstecken und hervorschnellen. Aber keiner kannte Beate Flöter. So drückte ich mich wieder an meine pivate Panorama-Fensterscheibe. Heute sah ich einen Jungen und ein Mädchen unter Bäumen umherhüpfen und sich nach Dingen bücken. Als ich später überprüft hab, was da lag, waren nur noch Tannenzapfen da, die nicht von Tannen stammen, aber den Eindruck erweckten.
Ich hab meinen Schreibtisch so vors Fenster gestellt, dass ich stets protokollieren kann, wann meine Wohnheimmitbewohner zum Einkaufen/ Uni/ Tête à Tête gehen und wann sie wiederkommen. Ich will jetzt hier keine Namen nennen, aber ein Kommilitone aus Fernost und eine Studentin aus dem nordöstlichen Skandinavien liefern sich ein ziemliches Kopf-am-Kopf-Rennen, wenn es um die Häufigkeit der Präsenz vor meinem Beobachtungsposten geht.
Zwei Wochen habe ich einem Volvo gewidmet, der auf dem Parkplatz, der in die Allee vor meinem Fenster integriert ist, umherfuhr, hielt und wieder weiterfuhr. Ich hab das nie verstanden. Als ich nachts bei einem Spaziergang den Volvo alleine auf dem Parkplatz traf und in sein Inneres spähen wollte, fuhr der Wagen abrupt an und schüttelte das Paar auf den Vordersitzen aus seiner wohligen Umschlungenheit - ich kann allerdings nicht abschließend sagen, inwieweit es sich um ein Paar und Umschlungenheit handelte, ich hab ja nichts gesehen.
Surren holte mich am Sonntagmittag aus dem Schlaf. Rabauken im heiratsfähigen Alter ließen ihre funkgesteuerten Modellautos über die Allee sausen. Am liebsten hätte ich mein Fenster aufgerissen und gebölkt: "Ruhe da unten, sonst ruf ich die Polizei". Doch mein Fenster hat keine Öffnungsvorrichtung, und ich weiß nicht, was Ruhe, unten, sonst und rufen auf Dänisch heißt.
Else Kling hatte sich ihr Umfeld eindeutig geschickter ausgesucht. Die konnte ihre Sprachkompetenz da wesentlich besser einbringen. Und wenn der Tag vorbei war, erzählte sie ihrem geliebten Mann das Neueste. Bis Folge 656.
Jetzt ist Abend, und ich seh nur noch die Stelen leuchten und hin und wieder Frontscheinwerfer. Gerade war der Volvo wieder da. Danke, lieber Leser, dass Du heute mein Egon warst.

Mittwoch, März 07, 2007

Wenn die Hure das Ende ist

Plötzliche Eingebungen können zuweilen ganz schön nach hinten losgehen. Als inmitten der Schaulustigen, die hingebungsvoll den angeblich in ultramoderne Textilien gehüllten Monarchen anstarren, ein kleiner Junge spontan schreit: "Aber der hat ja gar nichts an!" und damit den ersten und einzigen kaiserlichen Flitzer und zwei betrügerische Bekleidungsfabrikanten entlarvt, da hat der Sechsjährige (vermutetes Alter) wohl einen Augenblick vollkommen vergessen, dass der Kaiser mal ganz fix seinen Vater köpfen lassen könnte wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht, mangelnder Treue zum Souverän und falscher Ideologie. Zugegeben: Nachdem der Kleine dem bekloppten Volk klargemacht hat, dass der Kaiser kein hautfarbenes Catsuit spazierentrug - wäre ja möglich gewesen, das Ganze spielte sich ja anscheinend im liberalen Dänemark ab -, da zogen die anderen nach. Aber hätte ja auch anders kommen können, und dann hätte die minderjährige Plaudertasche ihre Einschulung gegen das Aufnahmeritual im kaiserlichen Steinbruch tauschen können. Das waren schließlich noch andere Zeiten damals.
Wir wissen nicht, was aus dem kindlichen Aufklärer geworden ist. Wäre er heute am Leben und sechs, hätte sein Vater den vorlauten Bengel bestimmt auf eine Privatschule geschickt.
Der Zufall hätte gewiss gewollt, dass es die Rudersdal Lilleskole in Holte nahe Kopenhagen gewesen wäre. 1987 gegründet, in ein früheres Privathaus von 1901 gepfercht, das aber schon mal, seit den 60ern, eine Lehranstalt beherbergt hat, will die Schule einen anderen Weg als ihre staatlichen Schwestern gehen. Früher hätte man gesagt, die Rudersdal Lilleskole sei sozialistisch (was gut zu dem sechsjährigen Kaiserfeind passen würde), heute ist sie schlicht alternativ, und die Lehrer erzählen Besuchern, dass man aufsässige Schüler als Problem, aber eben auch als Herausforderung sehen könne. Unterschiede zu herkömmlichen Schulen? Kleinere Klassen mit höchstens 18 Schülern. Die zulässige Gesamthöchstzahl von Schülern liegt in der Lilleskol bei 100, tatsächlich sind derzeit 35 weniger angemeldet. Schüler und Lehrer gehen kollegial miteinander um, weil Hierarchien flach gehalten oder gar abgeschafft werden sollen. Die natürliche und städtische Umgebung steht auf dem Lehrprogramm. Wenn die Kinder was über Eichen und Buchen lernen sollen, gehen sie dafür nach draußen oder sie machen mehrtägige Fahrten nach Norwegen, wenn es um Ethik geht. Wenn's den Unterricht nicht stört, legen die Schüler schon mal die Füße auf den Tisch (und ziehen vorher brav die Schuhe aus) und mampfen ihr Pausenbrot. Manche Themen erarbeiten die Kids fächerübergreifend in Projektarbeit.
Für eins meiner Pädagogikseminare war die Schule Abschauungsprojekt, um eine Idee von Reformpädagogik zu bekommen, über die Summerhill-School, Freinets Ideen und den Jena-Plan zu reden und uns zu fragen, wie die Rudersdal Lilleskole dazwischen passt. Abschlussspiel war eine Schatzkarte, die wir selber machen sollten, indem wir auf einem Blatt Papier unseren Startpunkt des Tages (in den meisten Fällen war das der Bahnhof), die eindrücklichsten Erlebnisse und das Ziel skizzierten. Am Ende der Karte meiner Dreiergruppe stand Ende, weil die dänische Zeichnerin mir kurz zuvor verraten hatte, dass sie Deutsch als Schulfach hatte."Und was heißt das auf Dänisch?", sagte ich. "Slut", sagte sie, genauso wie sie's dann unter das Ende schrieb. Das sei ja das gleiche Wort wie Slut auf Englisch, klärte ich auf. Das Lachen meiner beiden Sitznachbarinnen klang so, als wenn sich jemand vor Überraschung übergeben muss, und ich ahnte, dass ich soeben mehr gesagt hatte als den Namen einer Rockband aus Bayern.
Am Abend zeigte mir mein Computerbildschirm, dass liederliches Frauenzimmer die harmloseste Übersetzung für das gesuchte Wort ist. Ich fühlte mich, als sei ich der sechsjährige Volksaufhetzer, in dem Moment, in dem der Stuhl unter den Füßen seines Vaters weggetreten wird.
Nebenbei frage ich mich, ob der Sechsjährige und sein Vater vielleicht gar keine originären Volksangehörigen, sondern frisch eingewandert waren und dann die Einbürgerungskurse verpasst hatten? So ohne Sprachkurs..., da kann man sich schon mal verplappern. Und ich frage mich: Wie hat Hans Christian Andersen kenntlich gemacht, dass sein Märchen vorbei ist?

Montag, März 05, 2007

Ränkespiel im Schnee

Neulich habe ich entschieden, dass so bald kein neuer Schnee auf Dänemark niedergehen soll. Doch mein einstimmiger Beschluss war wirkungslos. Schon einen Tag später ließ der Himmel frische Flocken herabschweben, mit für mich unangenehmen Folgen (siehe Bericht vom 23.02.07).
Was mir nicht klar war: Meine Willensbekundung hatte von Anfang an keine Chance. Denn sie war nicht durch das aktuelle dänische Gesetz gedeckt. Seit Jahrzehnten streiten die Parteien des skandinavischen Südstaats über Einführung und Abschaffung des Schnees. So wurde gerade in diesen Tagen die Entscheidung zum Erwerb von neuen Schnee gekippt, mit der Folge, dass nur noch alte an den Straßenrand gekehrte Reste vor sich hin tauen und mickrige Schneefelder sich in Wäldern verstecken, um zu überleben.
Das jahrelange Gezerre um das "weiße Gut", wie Befürworter den Schnee nennen, lässt früher exponierte Themen von der politischen Agenda verschwinden. Die ehemals beherrschenden Debatten über Zuwanderungspolitik und Regulation des Arbeitsmarkts mit ihren alten, abgenutzten Argumenten konnten auf lange Sicht mit der Anziehungskraft des feinen Pulvers nicht mithalten.
Zumal gerade in den Augen der Fürsprecher Schnee vor allem in den Monaten des Jahreswechsels das Land und eventuelle Probleme gnädig weiß umhüllt. Gegner des Schnees räumen zwar ein, dass diese Idee reizvoll, aber letztlich doch ein Trugschluss sei. Denn mit der Zeit würde der Schnee schlecht, sprich: schmutzig und altbacken, und müsse beseitigt werden. Das fabriziere neue Probleme, weil "der Staat dafür zusätzliches Geld in die Hand nehmen muss". Auch stelle sich die Frage, wie eine kontinuierlich erforderliche Neuanschaffung von Schnee gegenfinanziert werden solle.
Die Kontroverse lässt auch die fünfeinhalb Millionen Bewohner des Inselstaates nicht kalt. Hausgemeinschaften können sich nicht einigen, ob sie ihren Vorgarten mit oder Schnee ausstatten wollen, was sich in einem zweifelhaften Kompromiss niederschlägt: Schnee auf der einen Hälfte, freie Rasenfläche auf der anderen (siehe Bild 1, Schnee ist zur besseren Veranschaulichung blau eingefärbt).
Autonome Schneeräumkommandos arbeiten gewaltsam daran, das auf Wasserbasis erzeugte Pulver mit so genannten "Schneebrütern" zur Auflösung zu zwingen (Bild 2).
Gerade an diesem Akt ruchloser Gewalt zeigt sich, dass der Hauptakteur selbst bei der nicht endenden Schlagabtausch aus dem Blick geraten ist. So vermag er zwar bisweilen massenhaft und blütenweiß über das ganze Land herzufallen und sich stolz zu präsentieren. Doch bald schon liegt er verdreckt und getreten am Boden. Da hilft auch all die menschliche Wärme seiner Sympathisanten nicht, nein, sie schadet vielmehr.
Immer wieder sind es Einzelschicksale, die daran erinnern, dass es nicht darum geht, ob der Schnee kommen soll oder nicht: Denn er ist schon da. In diesen Tagen muss er wieder um Auslöschung fürchten. Müde und ausgezehrt sucht er Schutz unter Gestrüpp (Bild 3), während seine Artgenossen bereits sublimiert und in den Himmel aufgestiegen ist - ein Schicksal, das bald auch auf das Schutz suchende Häufchen Elend zukommt. Doch dann geht im Parlament die Debatte längst schon wieder von vorne los.

Freitag, März 02, 2007

Der 24-Stunden-Report (5): 20 Uhr

Und wieder und wieder flitzen Polizeiautos vorbei, auf dem Weg in den Stadtteil Nørrebro. Ja, in hier in Kopenhagen ist richtig was los. Autos brennen, Steine fliegen, Tränen laufen die Wangen junger Widerständiger herunter. Sie wollten ihr Ungdomshuset behalten, doch die Stadt hat das Jugendhaus an eine Sekte verkauft und musste gestern die bisherigen Bewohner zwangsräumen, damit das ehemalige Theater picobello in die neue Partei übergeben werden kann. Allerdings ist im Gegenzug nun ein kompletter Stadtteil etwas in Unordnung geraten.
Während die Sympathisanten des anarchistischen und selbstorganisierten Kultur- und Jugendzentrums sich wehren, Barrikaden auftürmen und Sachen kaputt machen, stehe ich in Reih und Glied und zähle im Kopf: eins, zwei, drei, ... vier, fünf, sechs, sieben, acht. Mehr oder minder rhythmisch bewege ich mich vorwärts. Schweiß rinnt mir die Stirn herunter. Irgendwie ist da ein innerer Widerstand. Doch ich ignoriere ihn und kämpfe weiter. Einer muss es ja tun. Und ich bin nicht allein. Mit mir sind vielleicht 40 Leute, manche perfekt ausgebildet, manche blutige Anfänger so wie ich. Vorne gibt unser Anführer Befehle. Geradeaus, links, jetzt rechts. Wir folgen ihm blind. Ja, hier ist richtig was los, hier beim Salsakurs für Anfänger und Fortgeschrittene im Club Mambo in Kopenhagen.